Nach meiner Krebsdiagnose veränderte sich etwas in meinem Umfeld und in mir. Während sich die Welt um mich herum immer schneller drehte, spürte ich in mir zunehmend Gelassenheit und Ruhe. Seit einer Nahtoderfahrung in meiner Jugend hatte ich die Angst vor dem Sterben ohnehin verloren. Ich hatte auch keine Schmerzen. Ab und zu ein vorübergehendes Druckgefühl in der Brust, aber dafür machte ich meinen beruflichen Stress verantwortlich. Die erschrockenen, ängstlichen und überfürsorglichen Reaktionen meiner Familie, von Freund:innen und auch flüchtigen Bekannten führte mir vor Augen, wie schwer sich viele Menschen mit der Vergänglichkeit tun. Da begann ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nachzudenken, wie ich auf die Floskel „Wie gehts?“ reagieren sollte. Mehrmals hatte ich erlebt, dass Menschen auf meine ehrliche Antwort darauf emotional völlig entgleisten. Ich fand mich dann in der verstörenden Rolle wieder, mein Gegenüber trösten, bzw. beruhigen zu müssen, obwohl ich es doch war, der die Diagnose bekommen hatte. Mir ging es aber nicht um Trost. Ich wollte der Realität ins Auge sehen und mich ihr stellen. Ich wusste ja noch gar nicht, was die Diagnose für mich in weiterer Folge genau bedeuten würde, warum also hätte ich darauf panisch reagieren sollen? Mich auf Vorrat zu fürchten, das kam für mich jedenfalls nicht infrage, soviel stand fest.
Der Trost, der mir in diesem seltsamsten Monat meines Lebens angeboten wurde, ging meistens ins Leere. Mir wurde zunehmend bewusst, dass Trost oft missverstanden, oder provokanter formuliert, missbraucht wird. Es ging dabei gar nicht in erster Linie um mich oder mein Schicksal, sondern um das eigene Unwohlsein in diesen Momenten der Konfrontation mit den unschönen Seiten des Lebens. Andere zu trösten, beruhigt zuerst einmal uns selbst. Dadurch entsteht die Illusion, irgendetwas tun zu können, wenn die Situation sonst nicht auszuhalten ist. Dieses Bedürfnis kann ich nachvollziehen. Es ist aber leider für den Menschen gegenüber nicht hilfreich. Was mir damals tatsächlich geholfen hätte, lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Sehen, verstehen, akzeptieren. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Situation realistisch gesehen wird, ebenso wie mein besonnener Umgang damit, aber nicht die Angst, die ich nicht hatte. Es wäre hilfreicher gewesen, zu verstehen, dass ich die Welt zuerst für mich selbst neu sortieren musste, statt mich mit guten Ratschlägen und überhasteten Aktionen einzudecken. Anstatt mein wiederholtes „Nein, Danke!“ zu überhören, hätte ich mir mehr Akzeptanz dafür gewünscht, dass die Situation momentan eben so war, wie sie war. Und Vertrauen darauf, dass ich den richtigen Umgang damit finden würde. Vertrauen in mich. Dann hätte ich die vielen Hilfsangebote wahrscheinlich nicht nur besser, sondern auch dankbarer annehmen können. Das hätte mich tatsächlich getröstet und mir geholfen. So aber schaffte der Trost eher Distanz als Nähe.
© Thomas Kalkus-Promitzer 2022-08-25