Gemeinsam durch die Dunkelheit
- Thomas Kalkus-Promitzer
- 10. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Hast du schon einmal versucht, jemanden zu trösten und es hat nicht funktioniert? Vielleicht hast du gesagt: „Das wird schon wieder“ oder „Sei nicht traurig“, aber die Person wirkte trotzdem nicht getröstet. Vielleicht hast du sogar gemerkt, dass deine Worte nicht gut ankamen oder dein Gegenüber sich noch einsamer fühlte.
Das liegt nicht daran, dass du nicht helfen wolltest. Es liegt daran, dass wir oft falsch trösten. Und das hat einen Grund: Viel zu oft geht es beim Trost gar nicht um den anderen – sondern um uns selbst.
Menschen sind soziale Wesen. Wir leiden mit, wenn jemand, den wir mögen, traurig oder verzweifelt ist. Doch dieses Mitleiden hat eine Schattenseite: Wir ertragen es selbst nicht, den Schmerz eines anderen auszuhalten. Sein Leid macht uns unruhig, vielleicht sogar ängstlich. Oft fühlen wir uns hilflos, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen. Und dann greifen wir zu den Floskeln, die wir selbst irgendwann einmal gehört haben: „Kopf hoch!“, „Andere haben es noch schwerer“, „Die Zeit heilt alle Wunden“. Diese Worte sind nicht böse gemeint, doch sie richten oft mehr Schaden an, als wir denken. Sie nehmen dem Schmerz die Berechtigung und lassen die leidende Person noch einsamer zurück.
Psychologisch gesehen brauchen Menschen in Krisen nicht sofort eine Lösung – sondern jemanden, der ihre Gefühle mit ihnen aushält. Eine der größten Ängste, die wir haben, ist das Gefühl, allein zu sein. Wenn wir trauern, dann nicht nur wegen eines Verlustes, sondern oft auch, weil wir befürchten, dass niemand wirklich versteht, was wir gerade durchmachen. Echter Trost bedeutet nicht, Schmerz schnell zu beenden, sondern ihn gemeinsam auszuhalten. Und das funktioniert in vier einfachen, aber tiefgreifenden Schritten.
Der erste Schritt ist, den Schmerz des anderen überhaupt wahrzunehmen. Oft nehmen wir Trauer oder Schmerz nur oberflächlich wahr. Wir hören jemandem zu, doch innerlich planen wir schon, was wir sagen könnten, um die Situation „besser“ zu machen. Doch wirklicher Trost beginnt damit, dass wir den Schmerz des anderen wirklich sehen. Das bedeutet: Widerstehe dem Reflex, sofort zu antworten. Schau hin. Fühle mit. Manchmal reicht es schon, zu sagen: „Ich sehe, dass es dir gerade sehr schlecht geht.“
Genauso wichtig ist es, wirklich zu verstehen, was der andere gerade fühlt. Ein häufiger Fehler ist es, seine Trauer oder seinen Schmerz mit eigenen Erfahrungen zu vergleichen. Vielleicht warst du selbst schon in einer ähnlichen Situation – aber jeder Mensch erlebt Gefühle anders. Das bedeutet: Lass die Geschichte des anderen einfach stehen. Frag nach. Sei neugierig, statt Lösungen zu präsentieren. Oft ist das größte Geschenk, das wir einem leidenden Menschen machen können, nicht unser Rat – sondern unser offenes Ohr.
Noch schwieriger ist es, die Gefühle des anderen einfach anzunehmen, ohne sie kleinzureden. Es ist verlockend zu sagen: „Es hätte schlimmer kommen können“ oder „Du musst nur positiv denken“. Doch genau das ist das Gegenteil von Trost. Echte Unterstützung bedeutet, die Gefühle des anderen nicht zu relativieren, sondern sie zu akzeptieren. Wenn jemand weinen muss, dann soll er weinen. Wenn jemand wütend ist, dann hat er ein Recht darauf. Gefühle sind nicht gut oder schlecht – sie sind einfach da. Und wenn wir sie zulassen, dann können sie sich verändern. Statt einer Floskel hilft oft einfach: „Es ist okay, dass du so fühlst“, „Ich bin da“ oder „Ich kann nicht alles verstehen, aber ich höre dir zu.“
Trost bedeutet aber nicht nur Zuhören, sondern auch aktives Handeln. Manchmal braucht Trost keine Worte, sondern Taten. Vielleicht kann die trauernde Person gerade nicht gut für sich sorgen. Vielleicht ist sie zu erschöpft, um sich Essen zu machen, oder sie braucht einfach jemanden, der mit ihr spazieren geht. Ein einfaches „Melde dich, wenn du etwas brauchst“ ist oft nicht genug – denn wer leidet, hat oft nicht die Kraft, um Hilfe zu bitten. Stattdessen kannst du direkt anbieten: „Ich bringe dir heute eine Suppe vorbei“, „Soll ich mit dir einen Spaziergang machen?“ oder „Ich nehme dir diese eine Aufgabe ab, damit du dich ausruhen kannst.“ Solche kleinen Gesten machen oft den größten Unterschied.
Doch genau dieser echte Trost ist oft schwer auszuhalten. Einen Menschen wirklich zu trösten bedeutet, seinen Schmerz mit ihm zu tragen – ohne ihn zu verdrängen oder sofort zu „heilen“. Das ist schwer, denn es bedeutet, dass wir auch mit unseren eigenen Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert werden. Vielleicht spürst du in solchen Momenten deine eigene Angst vor Verlust. Vielleicht erinnerst du dich an eine Zeit, in der du selbst Trost gebraucht hättest. Das ist unangenehm, aber es ist auch der Schlüssel zu echter Verbindung. Denn genau hier geschieht das, was wir alle brauchen: jemanden, der uns sieht, der uns versteht – und der bleibt.
Am Ende ist Trost keine große Kunst. Du musst nichts Kluges sagen. Du musst nichts lösen. Du musst nur eins tun: Da sein. Die Menschen werden sich nicht an deine Worte erinnern. Sie werden sich nicht erinnern, ob du den perfekten Satz gesagt hast. Aber sie werden sich erinnern, dass du da warst. Dass du ihr Leid ausgehalten hast, ohne sie zu drängen, es zu verstecken oder schneller wieder „normal“ zu funktionieren. Denn das ist der wahre Trost: Gemeinsam durch das Dunkel gehen – bis der andere wieder Licht sehen kann.
© Thomas Kalkus-Promitzer, 2025