Ich bin ein „Kümmerer“. Ich kümmere mich gerne und oft um andere. Das Kümmern zieht sich durch meinen gesamten Alltag. Ich kümmere mich beruflich um meine Klient:innen, betreue ehrenamtlich Menschen in akuten Notsituationen und bemühe mich auch im Freundeskreis, wie in der Familie, stets helfend da zu sein. Wenn ich auf der Straße Menschen begegne, die Hilfe benötigen, so bin ich selbstverständlich zur Stelle. Ich zögere keine Sekunde, wenn mich mitten in der Nacht ein Anruf aus dem Bett holt, um die Polizei bei der Überbringung einer Todesnachricht an eine Familie zu begleiten. Mich um andere zu kümmern, gehört für mich einfach dazu. Es erfüllt mich. Nur um einen Menschen kümmere ich mich oft nicht so, wie ich es sollte: um mich selbst. Dabei müsste ich es doch besser wissen! Ich habe gelernt, dass Selbstfürsorge und regelmäßige Psychohygiene die Voraussetzungen dafür sind, auch für andere optimal da sein zu können. Warum tue ich mir dann aber oft so schwer damit? Ich vermute, dass es daran liegt, dass dies ein „Ja zu mir“ benötigt, das gleichzeitig oft an ein „Nein zu dir“ gekoppelt ist. Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde meines Lebens habe ich nur einmal zur Verfügung. Ich entscheide wem, wie und wofür ich diese Zeit zur Verfügung stelle. Schenke ich sie Dir, dann erfüllt mich das so lange, wie ich selbst noch genug Reserve für mich habe. Neigt sich diese Reserve aber langsam dem Ende zu, versiegt irgendwann meine Kraft und die Erschöpfung tritt an ihre Stelle.
Viele „Kümmerer“ leiden unter dem Helfersyndrom. Manchmal verbirgt sich dahinter der Wunsch, der Gesellschaft oder einer Person irgendetwas zurückgeben zu müssen. Schuldgefühle können ein starker Motor für „Kümmerer“ sein. Hinter dem Kümmern kann sich aber auch der verdeckte Wunsch nach einem Ausgleich verbergen, frei nach dem Motto: Wer gibt, dem wird gegeben. In diesem Fall stellt das Engagement einen stillen Schrei nach Zuwendung, Anerkennung und Wertschätzung dar. Möglicherweise war z.B. das sich Kümmern um jüngere Geschwister in der Kindheit ein Weg, um von den Eltern wahrgenommen zu werden. Vergessen wir dabei auch nicht, dass schon in der Bibel geschrieben steht: „Geben ist seliger als Nehmen.“ Aber: Um geben zu können, muss ich vorher selbst genug bekommen und auch genommen haben. War das nicht der Fall, sind Schwierigkeiten im Leben oft die Folge. Hinter so mancher „Kümmerer“-Biografie verbirgt sich ein Leben, das nicht für sich selbst, sondern für andere gelebt wurde. Sich zu kümmern kann so zu einem Zwang, zur Selbstvergessenheit und Selbstaufgabe, aber nur selten zur Erfüllung führen.
Obwohl ich es gelernt habe, muss ich mich immer wieder selbst daran erinnern, dass es notwendig ist, von Zeit zu Zeit bewusst innezuhalten, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und ganz klar „Ja zu mir“ zu sagen. Coaching und Supervision eignen sich dafür sehr gut. Die Kraft, die ich daraus schöpfe, erlaubt es mir dann auch wieder mit ganzem Herzen „Ja zu dir“ zu sagen.
© Thomas Kalkus-Promitzer 2022-09-22